S01 Kasai
S01E01 N'Dole
 Die leichte Abendbrise am Flussufer bescherte den Anglern eine gewisse Abkühlung. Abends bissen die Fische besser
an und so reihten sich die Hungrigen entlang des Ufers, des sich durch die Sandbänke schlängelnden Flusses. Teils mit
primitiven Angelruten, teils mit an krummen, knorrigen Stöcken befestigten einfachen Schnüren, selbstgebogenen Haken oder
Drähten, sie drängelten sich an vermuteten vielversprechenden Stellen.
Die Dunkelheit stürzt in dieser Breite plötzlich über das Land, dann geht nichts mehr, die Rechtschaffenen sollten dann
zuhause bei ihren Familien sein.
NDole konnte noch keinen einzigen Fisch ergattern. Nicht das er keinen aus dem Fluss gezogen hätte, aber er war schwach
und konnte sich nicht erwehren, als die älteren, stärkeren Jungs seinen Fang bemerkten und ihm diesen nach heftigen
Faustschlägen abgenommen hatten.
In diesen letzten Augenblicken des Halblichts, als kaum noch etwas sichtbar war, zog er einen Fisch ans Land und stand
in der vollständigen Dunkelheit alleine am Ufer "seines" Flusses, der, von den unzähligen eingeleiteten Kloaken dreckig,
sich gemächlich in Richtung des großen Sees wälzte. Sich schnell duckend suchte er den Weg zur Hütte seiner Familie. Der
Fisch wird nicht reichen, er wird zuhause ob seiner Erfolglosigkeit auch noch Prügel beziehen, zu viele Mäuler zu
stopfen, zu wenige Hände die etwas heranschaffen könnten. Der Vater war schon seit Monaten in der Ferne, zum
Geldverdienen, so sagte man. Geld hatte aber noch keines den Weg in diese kleine, überfüllte Hütte gefunden. Mit seinen
11 Jahren war NDole kräftig genug um Arbeiten zu erledigen, aber zu schwach um sich erfolgreich zu erwehren. Alleine
sein Verstand und seine Behändigkeit, seine Agilität und Vorsicht bewahrten ihn vor Schlimmerem, was vielen kleinen
Jungen und Mädchen in dieser Gegend widerfuhr.
Sich der Hütte nähernd folgte er dem schwachen Licht das durch den Türspalt leckte. Vertraute Stimmen aber auch etwas
Anderes schwang in der Luft. Vorsichtig öffnete er die Tür und lugte erst einmal hinein. Ein Mann, nicht zu alt, mit
vernarbtem Gesicht - was in dieser Gegend nichts ungewöhnliches war - nacktem Oberkörper, saß bei seiner Mutter auf der
Bettkante, obwohl, ein richtiges Bett war das nicht, es war ihre gemeinsame Schlafstelle. Dort schliefen sie alle.
Sieben Kinder, die Mutter und der Vater auch, wenn er da war.
Der Mann stand auf, die Mutter auch. NDole reckte den Arm mit dem Fisch in der Hand nach vorne, seht was ich mitgebracht
habe. Mit Verärgerung im Gesicht nahm ihm die Mutter den Fisch ab. Fast im selben Augenblick schlug ihm der Mann mit der
Rückhand ins Gesicht so, dass er mit blutender Nase bis zur Tür geschleudert wurde, kam zu ihm, griff seinen Unterarm
und fixierte seine Handgelenke mit einem Kabelbinder.
"Los, raus, murrte" er NDole zu und stieß ihn ohne auf eine Reaktion zu warten durch die Tür. Benommen torkelte er vor
dem Mann her, unfähig sich in die Situation zu fügen. Die Fragen, Empfindungen die
in ihm wüteten ließen sogar das bittere Hungergefühl unbemerkt.